LITERARISCHER OZEAN

"Die weiße Fürstin"

BIRGITTA ASSHEUER liest: "Die weiße Fürstin" von R.M. Rilke 
Dramaturgie und Moderation: BERTHOLD DIRNFELLNER

Sprache, Schrift, Text, das Literarische, das Dramatische, das Theater gestalten einen Bühnenraum für eine Situation, ein Ereignen einer Zeit ohne Verordnungen, Regel und Gesetz des Tag für Tag, so verwandelt Rilkes symbolistische dramatische Dichtung ‚Die weiße Fürstin‘  die Theaterbühne zu einem Ort enthoben aller Zeitlichkeit. Vergangenes und Zukünftiges sind in diesem Moment zugleich gegenwärtig in ihrem plastischen Erscheinen  eines augenblicklichen Geschehens einer Situation, die Rilkes dichterische Sprache zu einer bildhauerischen Figur formt, eine innere Weite des Menschen auf die Bühne schreibt und sie zugleich in seinem Bild einer Szene am Meer zusammenfügt mit der Weite äußerer Landschaft. Das erneuert die Sprache der dramatischen Kunst. Sie schreibt der Handlung keine Geschichten mehr ein und gestaltet die Wiedergabe von Stimmung und Atmosphäre, lässt seine Bühnenfiguren keine erklärenden Betrachtungen sprechen, ist Darstellung, keine Unterhaltsamkeit, sondern Eindruck. Die plastische Sprache des Bühnenraumes der ‚Weißen Fürstin‘ misstraut einem massenmedialen Sprachklang, dessen Enge Blätter der Rosen der Meeresweite verblühen lässt, und ihre Phantasie „...ist irgend Leben mehr erlebt als deiner Träume Bilder…“, ist Antwort auf ein abwesendes Nachtblau im Tonfall des selbstherrlich Präzisen. R.M. Rilkes subversive Symbolik betont den Eigensinn seines grundlegenden Sprach-Bildes von der Aufhebung der Zeit im Raum, jenes Bild, dass das Roseninnere ein Zimmer, ein Raum in einem Traum sei. Oder wie David Bowie, auch ein Liebhaber von Rilkes ‚Weißer Fürstin‘, dieses Bild symbolistisch in seinem letztendgültigen Album „Black Star“ dichtete: ‚IN THE VILLA OF ORMEN/STANDS A SOLITARY CANDLE/AH AH AH AH/IN THE CENTER OF IT ALL‘.

Rilkes ‚Weiße Fürstin‘ erhält gerade jetzt heute Bedeutung und europäische Präsenz für eine zukünftige dramatische Tragödien-Form, in der derzeitigen Diskussion darüber, ob der Theaterraum nicht gänzlich aufzulösen sei, zugunsten einer populistischen Banalisierung des Theatralischen, einer Verordnung der Enge des Gewohnten.

Rilkes Verteidigung des dramatischen Sprachtons wird von der Intensität zweier energetischer Bewegungen getragen, zum einen, von der Fort- und Weiterführung der philosophischen Dichtung eines radikalen Eingeständnisses des sprachlichen Eigensinns, und zum anderen, einer Einsamkeit des Individuellen, denn das Wesen unserer heutigen Zeit ist Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit, ein leiser chronischer Schwindel vibriert in ihr.      

Mit dem Einakter seiner ‚Weißen Fürstin‘ – eine Szene am Meer, hat Rilke das lyrische Drama des Symbolismus schlechthin gedichtet. Hier schreibt er nicht die geläufigen Erzähltechniken. Er wählt bislang noch nicht geschriebene Wege dramatischer Sprache, verlässt deren gesicherte Ufer, um aus dem stürmischen Meer von Sprache und Schrift noch unentdeckte Inseln hervorzudichten, deren Bilder und Atmosphären aus einem Fluss von Farben und Rhythmen poetischer Szenen und lyrischer Dialoge auftauchen. Damit ist es Rilke gelungen, jenem Satz des Psychologen C.G. Jung über das Symbol: ‚Das Symbol ist ein bestmöglicher Ausdruck für einen erst geahnten, aber noch unerkannten unbewussten Inhalt‘, literarische Gestalt zu geben.

So ist das symbolische Weiß der Fürstin unsere innere Leere, das Abwesende von offener Weite und neuer Möglichkeiten, aber ebenso auch das Nichts, der Tod, die Ewigkeit, und wird zu einem lyrischen Ich, das Ausdruck gestaltet und schreibt, wie es der französische Philosoph Gilles Deleuze über den Anlass des Schreibens in einem Gespräch im Jahr 1988 formulierte: 'Man schreibt immer, um das Leben zu befreien, wo es eingekerkert ist, um Fluchtlinien zu ziehen. Hierbei hat die ästhetische Seite der Sprache, der Schrift, die Spannungsunterschiede aufrechtzuerhalten, zwischen denen etwas passieren kann, zwischen denen ein Blitz aus dem Sprechen selber aufsteigen kann, der uns sehen und denken lässt, was im Schatten um die Wörter geblieben ist, etwas, dessen Existenz man kaum geahnt hatte. Und das entsteht, wenn die Wörter einen Blitz erzeugen, der von den einen zu den anderen überspringt, auch zu Weitabliegenden.' 

So
22.10.2023
19:00 Uhr
Neues Theater Saal
Emmerich-Josef-Straße 46a
Frankfurt a.M. Höchst
ab 9,00