Im Lauf der Zeit werden wir von Interessen, Einprägungen und Machtansprüchen, die nicht die unsrigen sind, in eine Enge getrieben. Wir verlieren immer wieder Kraft und Energie. Wir fühlen uns den Ansprüchen von Regeln und Ordnung ausgeliefert und einer Angst, diesen nicht mehr gerecht werden zu können. Wir drohen unterzugehen im Zentrum des Dämmergrün der Dschungel unserer Alltäglichkeit. Hier ist die Verführung, sich aufzulösen im Leuchten der Bildschirmbilder eine verheißungsvolle Option, ein Versprechen der unstillbaren Einsamkeit entkommen zu können, einer vorgetäuschten Gütigkeit in die Arme zu fallen, die uns neonleuchten lässt im Spiegel des Gleichklanges eingeübter Gesänge monotoner Melodien medialer Wirklichkeiten.
So müssen wir uns auf eine Fahrt hin zu einer unbekannten Wirklichkeit begeben, einer Reise, durch die wir dem Verschwinden widerstehen, uns der Auflösung entziehen, indem wir uns hinein in eine Offenheit begeben, in der Hoffnung dort jenen Ort, jenen Gegenstand zu entdecken, der uns wieder ein erfülltes Leben und Selbstgewissheit ermöglicht. Bereits vor tausend Jahren war der Gral dieser offene Raum. Er ist bis heute ein Text, der ihn mal als Schale aus gebranntem Ton schreibt, mal als einen Rubin, in dem ein Tropfen vom Blut Chrisiti aufgefangen wurde. Ebenso soll er jener schwarze Stein sein, den die islamischen Gläubigen in Mekka anbeten; oder ist er ein alchemistisches Geheimwissen zur Erschaffung von Vollkommenheit? Auch gibt es kein Zeugnis dafür, dass er jemals Wirklichkeit war. Für James Joyce kann: "Jeder Gegenstand, wenn er eindringlich betrachtet wird, ein Eingangstor zur Ewigkeit der Götter sein." In den USA erfährt derzeit ganz aktuell ein Sportwagen alles was ein Gegenstand braucht, um solch ein Objekt der Erlösungsphantasien zu werden und zu sein. Es ist jener montana-grüne Ford Mustang GT Fastback, den Steve McQueen im Hollywood-Film ‚Bullitt‘ im Jahr 1968 gefahren hat. Ob und wo genau dieser Ford Mustang noch existiert, oder nur das Phantasma eines Palais d’Amorph ist, bleibt verwunschener Untergrund. Besteht doch nahezu Konsens darüber, dass der Gral ein geheimnisvoller, ein unergründlicher Gegenstand ist, der die Wiederkunft des paradiesischen Zustandes vom irdischen und himmlischen Glück verspricht. Er ist das Ziel einer Reise, an deren Ende die Selbstfindung derjenigen steht, die sich allein, ohne Gefährten und Navigationsgerät, auf den Weg machen.
Er ist ein Gegenstand, den zu suchen sogar den Einsatz des Lebens lohnt, obwohl die Chance ihn zu finden sehr gering ist. 'Nach Sonnenuntergang die Bergpyramide in der fernsten der Fernen: den Mont Salvage mit dem Gral gibt es immer noch' notiert Peter Handke 1987 'Am Felsfenster morgens'.
Im Laufe der literarischen Jahrhunderte ist dann aus dieser Sättigung alltagsnaher Bedürfnisse, sakraler Erlösungswünsche und unerfüllter säkularer Gewissheiten, eine literarische ‚Faust‘-Figur erwachsen, die seinen Autoren wie Lord Byron, Goethe, Lenau und auch Tankred Dorsts ‚Merlin‘ dazu diente, sich selbst, ihr eigenes Sein zu begreifen; sich schreibend zu verorten und so aufzutauchen aus einer Sehnsucht, das Sein des eigenen Wesens zu finden, die Farben und Formen der Seele zu empfinden und sein eigenes Gesicht im Spiegel zu erkennen, als Zeichen einer Befreiung von dem Zwang, permanent die Dinge und Ereignisse des Geschehens mittels eingeübter Muster und Methoden erdulden zu müssen.
Ist dem Gral schon keine gegenständliche Wirklichkeit zuzuschreiben, so auch in dessen Folge nicht dem literarischen ‚Faust‘.
War er leibhaftig existent oder was war dieser Georgius oder Johannes Faustus, der etwa zwischen 1480 und 1540 real existiert haben soll?
'Die Wahrheit ist absolut nicht mitteilbar. Sie ist das, was sich durch nichts darstellen, durch nichts erklären lässt...' So spricht der Einsame im Faust-Drama 'mon faust', das der französische Autor Paul Valéry in den Jahren von 1940 bis 44 geschrieben hat. Für Valéry stützt sich sein moderner Faust auf eine innere 'Analyse des Geistes'. Sein Faust versucht auszuloten, wie lange es noch gut gehen kann mit dem Drang des Menschen nach ständiger Erweiterung seiner technologischen Möglichkeiten und der Beherrschung von Natur und Welt, und er stellt die Frage nach der Herkunft seiner eigenen Existenz: existiere ich wirklich, oder bin ich ‚Faust‘ eine literarische Einbildung, ein Kunstprodukt? Leichtigkeit in dieses Drama, bringt gleich zu Beginn das Gelächter von Fausts Schülerin und Sekretärin: Lust. Das Fräulein von Kristall.
Ein Lachen, das ihrem Meister Faust, der drauf und dran ist, sich wieder einmal in die öde Einsamkeit des abstrakten Denkens zu versteigen, eine sprachliche Lebendigkeit entgegenhält.
Sind die vielfältigen Geschichten, die in den literarischen Texten über ihn geschrieben stehen, alles Lügen? Paul Valérys ‚Faust‘ versucht die Wirklichkeit seiner eigentlichen Existenz herauszufinden, zu ergründen, was er für sich selbst bedeutet. So entsteht auf der Bühne ein Text für zwei Stimmen über das Auftauchen aus dem Dschungel verborgener Möglichkeiten, gelesen von BIRGITTA ASSHEUER und VERENA RONIQUE, inszeniert von BERTHOLD DIRNFELLNER.